Drahten
Die oft bizarren Formen, die den faszinierenden Charakter eines Bonsais ausmachen, entstehen in der Regel nicht einfach durch den natürlichenWuchs deines Bäumchens, sondern da musst du als Gestalter manchmal recht kräftig nachhelfen. Das liegt v.a. daran, dass unsere Bäumchen ja in der Natur unter Wind-und Wettereinflüssen gealterte Bäume im Kleinformat nachbilden sollen, sie diesen Einflüssen aber in der Regel nicht ausgesetzt sind. So wachsen die Äste von alten Bäumen in der Natur waagrecht vom Stamm oder sogar nach unten, weil sie das Eigengewicht der Blätter über die Jahre langsam nach unten biegt, die Äste und Blätter unserer kleinen Ebenbilder haben natürlich nicht dieses Eigengewicht und wachsen darum tendenziell der Sonne entgegen, also mehr oder weniger steil nach oben. Um aber den Eindruck eines in Ehren gealterten Baumes zu erzeugen, muss man die Wuchsrichtung entsprechend korrigieren. Die effektivste Methode das zu erreichen ist das Drahten. Das erfordert ein wenig Übung und Geduld, ist aber prinzipiell nicht schwierig, wenn man ein paar Grundregel beachtet. Vereinfacht gesagt umwickelt man den Ast des Bäumchens, den man in eine andere Form bringen will, mit Draht und schafft so ein starres Korsett, das man dann sachte in die gewünschte Stellung biegt. Die Stärke des Drahtes sollte dabei so gewählt werden, dass die Eigenspannung des Astes, die durch das Biegen entsteht nicht ausreicht, um wieder die Ausgangsform einzunehmen. Als Faustregel gilt: Verwende Draht, der ungefähr die Hälfte der Stärke des Astes hat. Das funktioniert meistens recht gut, ist aber natürlich von Pflanze zu Pflanze ein wenig anders.
Dann heißt es einfach warten…! Innerhalb einiger Wochen passt sich das Bäumchen in der Regel an die neue Form an und der Draht kann dann mittels einer Zange vorsichtig wieder entfernt werden. Wie bei vielen handwerklichen Dingen ist auch beim Drahten das richtige Werkzeug extrem hilfreich und vereinfacht vieles. Tipps dazu findest du unter: Werkzeuge und Hilfsmittel für das Drahten
Die Verankerung des Drahtes am Baum oder im Boden
Damit die Gestaltung mittels Draht möglichst gut und schonend funktioniert, musst du darauf achten, dass der Draht einen möglichst guten Halt am Baum hat, schließlich ist er unter Umständen großen Kräften ausgesetzt, da die gedrahteten Teile anfangs grundsätzlich die starke Tendenz haben, in ihre Ausgangsposition zurückkehren zu wollen.
Du fixierst dazu den Draht mit mindestens zwei Wicklungen an deinem Bäumchen. Wichtig ist dabei, dass die Wicklungen eng anliegen aber nicht einschneiden. Die Verankerung des Drahtes musst du dabei immer eine Ebene unter dem zu drahtenden Ast vornehmen, d.h. willst du einen Ast drahten, fixierst du den Draht am Stamm, willst du einen Zweig drahten, fixierst du den Draht am Ast, aus dem der Zweig entspringt usw.. Wenn du den Stamm biegen willst, dann fixierst du den Draht am besten, indem du ihn von unten durch das Drainageloch deiner Bonsaischale führst und unter der Schale fest verankerst.
Das Umwickeln des Astes
Ist der Draht stabil fixiert, kannst du den Draht an dem Ast anbringen, den du neu gestalten möchtest. Dazu umwickelst du den Ast spiralförmig etwa in einem Winkel von 45 Grad zur Wuchsrichtung. Wenn du den Ast nach unten biegen willst, empfiehlt es sich den Draht auch von unten an den Ast heranzuführen. Willst du einen Ast nach oben biegen, dann führst du den Draht am besten auch von oben heran. Das verleiht dem entstehenden Drahtgerüst die notwendige Stabilität in der gewünschten Richtung und verhindert, dass der Ast beim Drahten zu leicht bricht. Du solltest erst alle Äste, die du gestalten möchtest mit Draht umwickeln, bevor du dich an das eigentliche Biegen machst. Das macht die Gestaltung insgesamt einfacher, schneller und schonender, weil weniger Nachbesserungen nötig werden.
Das Biegen des Astes
Das Biegen der Äste ist der heikelste Teil des Ganzen. Hierbei ist es wichtig sehr vorsichtig und langsam vorzugehen, weil dir dabei kein Ast brechen sollte. Die Art der Pflanze ist hier ein entscheidender Faktor. Gut eingedrahtete Wacholder kann man beispielsweise recht stark in zum Teil extreme Formen biegen, ohne dass sie Schaden nehmen, Kirschbäumchen haben dagegen ein sehr sprödes Holz und brechen sehr leicht schon bei kleineren Eingriffen.
Grundsätzlich entstehen auch beim schonenden Drahten Mikrobrüche im Holz oder feine Verletzungen der Rinde, die aber problemlos verheilen.
Um so verletzungsarm wie möglich zu biegen, solltest du immer mit beiden Händen biegen und mit den Daumen die Innenseite der Biegung mit sanftem Gegendruck stabilisieren. So verhinderst du, dass die Spannung im Holz unkontrolliert zunimmt und du kannst rechtzeitig aufhören, wenn der Ast droht zu brechen.
Das Entfernen des Drahtes
Idealerweise belässt man den Draht so lange am Baum, bis der gedrahtete Teil stabil die gewünschte Form beibehält. Der richtige Zeitpunkt die Drahtung wieder zu entfernen ist am Anfang immer ein wenig Versuch und Irrtum, da es je nach Art mal schneller, mal langsamer geht, bis das Bäumchen die Gestaltung annimmt. Bei meinem Ficus benjamina dauert es z.B. nur wenige Wochen, mein Kaffee dagegen hat nach einigen Monaten immer noch starke Tendenzen in die Ausgangsposition zurückzukehren. Das Drahten selbst schadet einem Bonsai in der Regel nicht, wenn man es sorgfältig und vorsichtig macht. Es kann höchstens sein, dass ein gedrahteter Ast, der sehr stark unter die Horizontale gebogen wird, etwas langsamer wächst. Viel problematischer ist es, wenn man den richtigen Zeitpunkt zum Entfernen des Drahtes verpasst, da es passieren kann, dass der Draht dann in die Rinde des Bonsais einwächst und beim Lösen tiefe Wunden entstehen. Zurück bleiben hässliche Narben, die zwar mit der Zeit zuwachsen, aber lange Zeit nicht schön anzusehen sind. Darum musst du deine Drahtungen regelmäßig kontrollieren und sie möglichst sofort entfernen, wenn du bemerkst, dass die Rinde des Bäumchens beginnt, den Draht zu überwuchern. Sollte dein Bäumchen die gewünschte Form noch nicht behalten, dann legst du nach dem Entfernen des Drahtes einfach nochmals Draht an. Um die Drahtung zu lösen, solltest du auf keinen Fall den Draht einfach vom Ast abwickeln, weil durch die Drehung Blätter oder Triebe abreißen können oder sogar Bruchstellen entstehen können. Verwende darum am besten eine spezielle Drahtzange und zwicke in kleinen Stücken den Draht schrittweise ab.